🧠 FEMTO MAGAZIN: Hightech für den Louvre

Ein mobiles Röntgengerät für die Analyse antiker Tontafeln

Die ersten antiken Hochkulturen verfassten ihre Dokumente auf Tontafeln. Doch längst nicht alle dieser Tafeln sind lesbar – sie stecken in dicken Umschlägen, ebenfalls aus Ton. Im Rahmen eines Exzellenzclusters der Universität Hamburg haben DESY-Fachleute einen speziellen Röntgentomographen konstruiert, der den Inhalt der verborgenen Schriftstücke endlich enträtseln soll. Damit könnte er ganz neue Einblicke in die Gebräuche des Altertums liefern.

 

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Lesehilfe: Der mobile Röntgenscanner soll Keilschrifttafeln durch ihren Tonumschlag hindurch entziffern. Bild: © DESY, Marta Mayer

Sie ist womöglich die älteste Schrift der Welt: Ab dem Jahr 3300 v. Chr. pressten die Sumerer in Mesopotamien einen Schreibgriffel in weichen Ton, um sich per Keilschrift zu verewigen. Später wurde die Technik von anderen Kulturen übernommen, etwa den Babyloniern, Assyrern und Persern – bis sie schließlich vor etwa 2000 Jahren von moderneren Schriftformen verdrängt wurde.

Das Faszinierende: Bereits damals galt offenbar das Briefgeheimnis.

Viele der beschrifteten Tontafeln wurden in adressierten Umschlägen versandt, ebenfalls bestehend aus Ton. „Das waren private Briefe, aber auch Verträge und Urkunden“, erzählt DESY-Physiker Christian Schroer. „Durch das Studium dieser Tafeln lernt man unglaublich viel über das Leben vor Tausenden von Jahren: Wie haben die Menschen kommuniziert, wie war ihre Gesellschaft organisiert, wo verliefen die Handelsrouten?“ Gelangte der Brief an die korrekte Adresse, wurde der Tonumschlag zerbrochen, die Tafel samt Keilschrift kam zutage.

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Tontafeln dienten bereits vor Jahrtausenden als Dokumente:  Dieses Exemplar aus dem heutigen Zentralanatolien enthält einen rund 4000 Jahre alten Darlehensvertrag. Bild: © Universität Hamburg, Cécile Michel

Für immer ungeöffnet

Doch nicht jedes Dokument erreichte sein Ziel – und manche blieben für immer ungeöffnet. In den Archiven und Museen finden sich heute Tausende solcher verschlossenen Briefe. Zwar ist die Fachwelt brennend an den Inhalten interessiert, mag aber die alten Schätze nicht öffnen – dazu müssten diese schließlich zerstört werden. Mit den bisher in Museen eingesetzten Röntgengeräten gelingt es allerdings nicht, die tönernen Umschläge zu durchleuchten und die Tafeln zu entziffern. Der Grund: Diese Geräte erzeugen Strahlung von relativ niedriger Energie. Das reicht zwar für Analysen von Gemälden und hat den Vorteil, dass sich die Geräte in puncto Strahlen-schutz recht einfach abschirmen lassen. Doch die dicken Tonumschläge vermag die niederenergeti-sche Strahlung schlicht nicht zu durchdringen – dazu bedarf es einer höheren Röntgenenergie mit merklich mehr „Durchschlagskraft“.


Jetzt unternimmt die Arbeitsgruppe von Christian Schroer einen neuen, technisch versierteren Anlauf: Sie hat eine mobile Röntgenapparatur konstruiert, die mit hochenergetischer Strahlung das Innere der Tonbriefe sichtbar machen und deren Inhalte enträtseln soll. Die Arbeiten finden im Rahmen des Exzellenzclusters „Understanding Written Artefacts“ an der Universität Hamburg statt, bei dem Fachleute aus verschiede-nen norddeutschen Forschungseinrichtungen die Entwicklung und Funktion von Schriftstücken aus aller Welt unter die Lupe nehmen. Besonders eng arbeitete Schroers Team dabei mit der Hamburger Assyriologin Cécile Michel zusammen.


„Man geht heute davon aus, dass die Sumerer die eigentlichen Tontafeln zunächst getrocknet haben“, erzählt Schroer. „Danach haben sie die Umschläge relativ lose um die Tafeln herumgepackt, wodurch zwischen beiden ein schmaler Luftspalt entstand.“ Dieser Luftspalt soll im Röntgenbild für den nötigen Kontrast sorgen, um die Tafel vom Umschlag unterscheiden und ihren Inhalt entziffern zu können.

Weiterführende Links und Infos

Mehr Infos zum Excellenz-Cluster
Forschungsschwerpunkt "Manuskriptenforschung" der Uni Hamburg
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Die Tontafeln werden in einen Halter mit fingerähnlichen Greifern eingespannt. Bild: © DESY, Marta Mayer

3D-Bilder

Im Labor am Centre for X-ray and Nano Science (CXNS) zeigt Schroers Mitarbeiter Ralph Döhrmann auf den Apparat: Er ist modular aufgebaut und besteht aus mehreren Segmenten, die sich zum Komplettgerät zusammensetzen lassen. „Sämtliche Einzelteile sind tragbar“, erläutert der Ingenieur. „Dadurch kann der Apparat in einem Museum über Treppen und durch schmale Gänge bewegt werden.“ Zusammengebaut hat das Gerät in etwa die Ausmaße eines übervollen Einkaufswagens – und lässt sich wie dieser auf Rollen durch die Gegend schieben. Sämtliche Einzelteile wurden in den DESY-Werkstätten gefertigt und getestet, die Steuerungsprogramme vom Schroer-Team entwickelt und geschrieben Kernstück ist eine spezielle Röntgenröhre, sie bündelt das Röntgenlicht auf einen nur 20 bis 40 Mikrometer großen Fleck. Ein Mikrometer ist ein tausendstel Millimeter. Die Strahlung trifft auf einen Probenhalter, auf dem die Tontafel befestigt wird. „Der Halter besteht aus fingerähnlichen Greifern, mit denen sich die Tafel schonend einspannen lässt“, erläutert Döhrmann. „Er kann gedreht und in alle Richtungen bewegt werden.“ Dadurch lässt sich die Tafel rundum abscannen – das Gerät ist ein Tomograph, es liefert dreidimensionale Bilder. Ein Röntgendetektor nimmt die durchgedrungene Strahlung auf, die Daten landen auf einem bordeigenen Server nebst Festplatte. Abhängig von den Ausmaßen der Tafel die größten haben das Format von Ziegelsteinen wird eine Untersuchung zwei bis drei Stunden dauern, im Extremfall sogar einen Tag.

Die größte Herausforderung bei der Konstruktion: Der Tomograph soll auf kleinstem Raum möglichst viel Power entwickeln, und das auch noch uneingeschränkt sicher. „Durch die hohe Energie der Röntgenröhre ist es gar nicht so einfach, die Strahlung nach außen abzuschirmen, so dass der Strahlenschutz gewährleistet und das Personal sicher ist“, erläutert Döhrmann. Das Problem: Einerseits sollte die Abschirmung aus Wolfram-Aluminium-Platten dick genug sein, um die Strahlung zuverlässig einzuhegen. Andererseits sollte sie nicht zu dick werden, ansonsten würde das Gerät für den mobilen Einsatz schlicht zu schwer – viel mehr als 300 Kilogramm Gesamtgewicht sollte es nicht auf die Waage bringen.

Test im Labor

Dass die Methode im Prinzip funktioniert, konnten die Fachleute schon vor längerem mit einem großen Labortomographen zeigen: Als Testobjekt fungierte ein „nachgebauter“ Tonumschlag mitsamt tönernem Inhalt. „Wir waren in der Lage, den inneren Teil vom äußeren Teil zu separieren“, erzählt Ralph Döhrmann. „Anschließend konnten wir anhand der Tomographie-Daten ein 3D-Modell dieser Test-Tontafeln drucken.“ Bald sollen ähnliche Tests auch an dem neuen, kompakten Modell beginnen. Erster Einsatzort des mobilen Tomographen ist das wohl berühmteste Museum der Welt – der Louvre in Paris. Dort harren rund 50 verschlossene Tonbriefe ihrer Entzifferung.

 

„Ich kann mir vorstellen, dass die Fachleute vom Louvre das Gerät gar nicht mehr hergeben wollen“, glaubt Schroer.

„Denn damit ließen sich noch viele andere Kunst- und Kulturschätze untersuchen.“ Ideen dafür gäbe es bereits, etwa die Analyse der Buchrücken historischer Schriftwerke. Die nämlich wurden nicht selten aus Altpapier gefertigt. Ließe sich per Röntgenscanner erkennen, was auf diesen damals als überflüssig erachteten Dokumenten geschrieben steht, könnte das manch überraschende Einsicht versprechen. „Wir haben bei DESY schon erste Tests gemacht und festgestellt, dass sich Dokumente, die mit eisenhaltigen Tinten verfasst wurden, durchaus identifizieren lassen“, erzählt Schroer.


Der neue mobile Röntgentomograph jedenfalls muss kein Einzelstück bleiben: Zwar war die Entwicklung aufwendig und hat sich über zweieinhalb Jahre hingezogen. Doch die Kosten für die Hardware sind überschaubar, so dass es durchaus möglich erscheint, das Gerät von einer Firma als Kleinserie auflegen zu lassen. „Wenn man erstmal sieht, dass der Tomograph funktioniert“, meint Christian Schroer, „glaube ich schon, dass die Nachfrage groß sein wird.“

Christian Schroer

Christian Schroer leitet das wissenschaftliche Programm der Synchrotronstrahlungsquelle PETRA III und ist Professor für Röntgen-Nanowissenschaften und Röntgenoptik an der Universität Hamburg. Sein Hauptforschungsgebiet ist die Röntgenmikroskopie und Röntgenoptik, die ein breites Spektrum von Anwendungen in der Physik, Chemie, den Lebens-, Material- und Geowissenschaften sowie in der Nanotechnologie bieten. Schroer promovierte in mathematischer Physik.

Mehr über Christian Schroer erfahren

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der femto, Ausgabe 02/2022 »Kunst im Röntgenblick« und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Redaktion online veröffentlicht.