🧠 FEMTO MAGAZIN: Wandfarbe gegen Coronaviren

Studie zeigt vielversprechende Möglichkeiten zur Desinfektion von OberflÀchen und Luft

Technisch optimierte Wandfarbe könnte möglicherweise das Coronavirus und viele andere Krankheitserreger abtöten. Das zeigt eine Studie ĂŒber die virusabtötende Wirkung von Titandioxid (TiO 2), einem weit verbreiteten weißen Pigment, das unter anderem fĂŒr Farben, Kunststoffprodukte und Sonnenschutzmittel genutzt wird. Auch im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit und der erneuerbaren Energien hat TiO2 wichtige Aufgaben.

 

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Das Spike-Protein ist der molekulare Enterhaken, mit dem das Virus die Zelle kapert. Auf dieser Abbildung zu sehen: das Spike-Protein lagert sich an Titandioxid an und wird so eingefangen. Bild: © DESY, Science Communication Lab

„Titandioxid wird hĂ€ufig als Pigment verwendet, um eine breite Palette von Produkten aufzuhellen“, erlĂ€utert die Forscherin Heshmat Noei aus dem DESYNanoLab,die die Untersuchung geleitet hat. „Aber es ist auch ein leistungsfĂ€higer Katalysator in vielen Anwendungen, wie beispielsweise in der Luft und Wasserreinigung und bei selbstreinigenden Materialien. Daher hielten wir Titandioxid fĂŒr einen vielversprechenden Kandidaten fĂŒr eine virusinaktivierende Beschichtung.“

Heshmat Noei, DESY-NanoLab:

„...[Titandioxid] ist auch ein leistungsfĂ€higer Katalysator in vielen Anwendungen, wie beispielsweise in der Luft- und Wasserreinigung und bei selbstreinigenden Materialien."

Bild: © DESY, Marta Mayer

Spike-Protein knĂŒpft Kontakt

In Zusammenarbeit mit der Gruppe der Virologen Ulrike Protzer und Greg Ebert vom Forschungszentrum Helmholtz Munich und der Technischen UniversitĂ€t MĂŒnchen ĂŒberprĂŒften die Forscherinnen und Forscher die Wirkung von Titandioxid gegen das Coronavirus. „Wir waren die ersten, die Coronaviren auf eine Titandioxid-OberflĂ€che aufgebracht und dann untersucht haben, was geschieht“, sagt Noei. Das internationale Forschungsteam untersuchte den Kontaktprozess mit DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III. Das Team konnte dabei aufklĂ€ren, dass sich die AminosĂ€uren des SpikeProteins am Coronavirus an die Titandioxid-OberflĂ€che anlagern. So wird das Virus eingefangen und daran gehindert, sich an menschliche Zellen zu binden.

Denaturierung durch Austrocknung

Wir haben herausgefunden, dass das Virus an der Titandioxid-OberflĂ€che adsorbiert und sich nicht wieder ablösen kann. Schließlich wird es durch Dehydrierung inaktiviert und denaturiert“, berichtet Mona Kohantorabi aus dem DESY NanoLab. „ZusĂ€tzlich konnten wir beobachten, dass Titandioxid als Katalysator bei der Inaktivierung des Virus durch Licht wirkt. FĂŒr unsere Studie haben wir ultraviolettes Licht verwendet, das das Virus innerhalb von 30 Minuten inaktiviert hat. Wir nehmen an, dass sich der Katalysator weiter optimieren lĂ€sst, um die Inaktivierung zu beschleunigen und – noch wichtiger – mit normaler Innen raumbeleuchtung zu ermöglichen. Dann ließe er sich nach unserer An-
sicht als antivirale Beschichtung fĂŒr WĂ€nde, Fenster und andere OberflĂ€chen beispielsweise in KrankenhĂ€usern, Schulen, FlughĂ€fen, Altenheimen und KindergĂ€rten einsetzen.“

Aerosole statt Lösungen

Theoretische Berechnungen der Arbeitsgruppe von Cristina Di Valentin an der Università degli Studi di Milano-Bicocca konnten bestĂ€tigten, dass die AminosĂ€uren des Spike-Proteins mit der TiO2-OberflĂ€che wechselwirken. Da diese AminosĂ€uren auch in den OberflĂ€chenproteinen vieler anderer Viren vorkommen, gehen die DESY-Forscherinnen und -Forscher davon aus, dass der Katalysator auch gegen viele andere Viren wirksam ist; das muss allerdings noch getestet werden. Die meisten bisherigen Untersuchungen zum Coronavirus beziehen sich auf flĂŒssige Lösungen. „Da sich Coronaviren und viele andere Viren aber ĂŒber die Luft verbreiten, ist es wichtig, auch Aerosole zu untersuchen“, sagt Noei. „Wenn man eine antivirale Beschichtung entwickelt, muss man sie dort anbringen, wo Menschen sich aufhalten. Vielleicht könnte man sogar einen Ventilator beschichten, um die Luftreinigung zu unterstĂŒtzen.“

Mona Kohantorabi, DESY-NanoLab:

„Dann ließe [Titandoxid als Katalysator] sich nach unserer Ansicht als antivirale Beschichtung fĂŒr WĂ€nde, Fenster und andere OberflĂ€chen beispielsweise in KrankenhĂ€usern, Schulen, FlughĂ€fen, Altenheimen und KindergĂ€rten einsetzen.“

Bild: © DESY, Marta Mayer

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Das Rasterkraftmikroskop zeigt: Die Viruspartikel (hell) adsorbieren an der Titandioxid-OberflĂ€che. Dort werden sie inaktiviert. Bild: © DESY-NanoLab, Mona Kohantorabi

Weitere Links und Infos

Veröffentlichung in ACS Applied Materials & Interfaces, 2023

Optimierungspotenzial

Das Team arbeitet nun daran, die antivirale Beschichtung zu optimieren. „Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass das Vorhandensein von Palladium-Nanopartikeln die Adsorption des Virus an der OberflĂ€che verstĂ€rkt“, erklĂ€rt
Kohantorabi. „Außerdem sollte man vermeiden, dass die Titandioxid-OberflĂ€che zu nass wird, denn wenn sie zu sehr mit Wasser bedeckt ist, können nur noch wenige Viruspartikel adsorbiert werden.“ Eine optimale Beschichtung sollte in der Lage sein, sich vollstĂ€ndig zu regenerieren und selbst zu reinigen, um die Langlebigkeit und Nachhaltigkeit der Virusinaktivierung zu verbessern. Eine vollstĂ€ndige Oxidation des Virus auf der OberflĂ€che wĂ€re eine Voraussetzung fĂŒr ein effizientes selbstreinigendes Material. Das Team will die optimierte antivirale Beschichtung so bald wie möglich unter realitĂ€tsnahen Bedingungen testen, angelehnt etwa an die Situation in KrankenhĂ€usern.

Forschungsgruppe X-ray Physics and Nanoscience (DESY NanoLab)

Das DESY-Forscher:innen-Team X-ray Physics and Nanoscience um Andreas Schierle, leitender DESY-Wissenschafter und Prof an der Uni Hamburg (oben links im Bild), untersucht die Eigenschaften von OberflÀchen, GrenzflÀchen und nanostrukturierten Materialien auf atomarer Ebene vom Ultrahochvakuum bis hin zu technologisch und ökologisch relevanten Bedingungen an.

Mehr ĂŒber ihre aktuelle Forschung erfahren

Bild: © DESY; FS-NanoLab Kick-off-Meeting 2023

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der femto, Ausgabe 01/2023 »Laser: legendĂ€rer LichtverstĂ€rker« und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Redaktion online veröffentlicht.